COVID-19

Im Jahr 2020 hat die COVID-19-Pandemie sehr schnell und global das menschliche Leben in einem enormen Ausmaß beeinflusst. Die Diskussion über geeignete Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung hat mich zu eigenen Berechnungen auf der Basis des SEIR-Modells angeregt.

Das SEIR-Modell

Ein mathematisches Modell zur Beschreibung von Epidemien stellt das SEIR-Modell (https://de.wikipedia.org/wiki/SEIR-Modell) dar. Es ist in der Lage, den zeitlichen Verlauf einer Epidemie realistisch wiederzugeben.

Die Buchstaben SEIR stehen hier für insgesamt vier Anteile

von Zuständen der Individuen an der Gesamtbevölkerung mit

S + E + I + R = 1.

Diese Zustände können nacheinander durchlaufen werden. Die zeitlichen Ableitungen dieser Größen werden beschrieben durch

S' = -βSI,

E' = βSI - aE,

I' = aE - γI,

und

R' = γI.

Diese vier Gleichungen stellen ein System von gewöhnlichen Differentialgleichungen dar, das numerisch als Anfangswertproblem z. B. mittels des Runge-Kutta-Verfahrens (https://de.wikipedia.org/wiki/Runge-Kutta-Verfahren) gelöst werden kann. Die Parameter des Systems sind die drei Raten

Die wichtige Basisreproduktionszahl R0 (https://de.wikipedia.org /wiki/Basisreproduktionszahl) gibt an, wieviel Individuen im Mittel von einem Infektiösen angesteckt würden, wenn alle anderen noch nicht infiziert wären (S = 1). Im Rahmen des SEIR-Modells ist sie durch das Verhältnis der beiden beeinflussbaren Raten gegeben:

R0 = β / γ.

Dieser Zusammenhang ergibt sich aus der Bedingung, dass am Höhepunkt der Epidemie die zeitliche Ableitung des gesamten Anteils der Infizierten (E + I) verschwindet:

E' + I' = βSI - γI = 0,

βS / γ = Reff = 1

mit der effektiven Reproduktionszahl

Reff = R0S,

die am Höhepunkt gerade den Wert 1 annimmt (im Mittel wird dann genau ein Individuum von einem Infektiösen angesteckt). Für COVID-19 wird die Basisreproduktionszahl R0 auf 2,4 bis 3,3 geschätzt.

Für sehr große Raten a und E = 0 geht das SEIR-Modell in das einfachere SIR-Modell über.

Beispielrechnungen

Hier zunächst die Resultate einer Rechnung für unbeeinflusste Parameter (Parameter und Anfangswerte wie in der Rechnung auf https://de.wikipedia.org/wiki/SEIR-Modell):

S, E, I und R für unveränderte Parameter

Abbildung 1: Resultierende Anteile als Funktion der Zeit t in Tagen mit R0 = 2,4, γ = 1/3 d-1, β = γR0 = 0,8 d-1, a = 1/5.5 d-1, E0 = E(t = 0) = 4,8077·10-4 und I0 = I(t = 0) = 1,2019·10-4. Das Maximum von E + I wird zu der Zeit erreicht, wenn S = 1 / R0 beziehungsweise Reff = 1 wird. Die Maxima von E und I dagegen liegen bei etwas kürzeren beziehungsweise längeren Zeiten.

Beeinflussung der Parameter

Zur Bekämpfung einer Epidemie wird versucht, die Basisreproduktionszahl R0 = β / γ zu verkleinern. Dies kann sowohl durch eine Verringerung der Übertragungsrate β (z. B. durch Kontakteinschränkungen und Hygienemaßnahmen) als auch durch eine Erhöhung der Rate γ (durch Massentests auf Infektion und zeitnahe Isolation der Infektiösen) erreicht werden.

Interessant ist die Frage, wie unterschiedlich die ausschließliche Verringerung von β und die ausschließliche Erhöhung von γ wirken. Dazu sind im folgenden die Resultate von entsprechenden Rechnungen gezeigt:

Für den Zeitraum 0 ≤ tt1 werden die Parameter β = β0 beziehungsweise γ = γ0 benutzt; für den Zeitraum t1 ≤ t < t2 die Parameter β = β1 beziehungsweise γ = γ1 und für t ≥ t2 wieder die Parameter β = β0 beziehungsweise γ = γ0.

I für zwischen t1 und t2 verringerte Werte der
    Übertragungsrate

Abbildung 2: Resultierender Anteil I der Infektiösen als Funktion der Zeit t in Tagen mit R0 = 2,4, γ0 = 1/3 d-1, β0 = 0,8 d-1, a = 1/5.5 d-1, E0 = 4,8077·10-4 und I0 = 1,2019·10-4. Im Zeitraum t1 ≤ t < t2 wird β um den Faktor 3/5 (entspricht R0 = 1,44) beziehungsweise um den Faktor 1/3 (entspricht R0 = 0,8) verringert. Zum Vergleich zeigt die rote Kurve das Verhalten bei unverändertem Parameter.

I für zwischen t1 und t2 erhöhte Werte der
    Genesungsrate

Abbildung 3: Resultierender Anteil I der Infektiösen als Funktion der Zeit t in Tagen mit R0 = 2,4, γ0 = 1/3 d-1, β0 = 0,8 d-1, a = 1/5.5 d-1, E0 = 4,8077·10-4 und I0 = 1,2019·10-4. Im Zeitraum t1 ≤ t < t2 wird γ um den Faktor 5/3 (entspricht R0 = 1,44) beziehungsweise um den Faktor 3 (entspricht R0 = 0,8) erhöht. Zum Vergleich zeigt die rote Kurve das Verhalten bei unverändertem Parameter.

Der Vergleich der Abbildungen zeigt, dass eine Erhöhung der Rate γ durch Massentests auf Infektion und zeitnahe Isolation der Infektiösen (Abbildung 3) zu einer schnelleren Abnahme von I als bei entsprechender Verringerung der Übertragungsrate (Abbildung 2) führt (zumindest im Rahmen des SEIR-Modells mit den hier gewählten Parametern). In Abbildung 2 steigt zunächst direkt nach t = t1 die Zahl der Infektiösen sogar an.

In beiden Fällen muss mit einer erneuten Epidemiewelle gerechnet werden, wenn bei deutlicher Verringerung von R0 um den Faktor 1/3 (blaue Kurven) zu früh (hier nach 90 Tagen) die Maßnahmen wieder vollständig zurückgenommen werden.

Es sollte nicht außer acht gelassen werden, dass das SEIR-Modell reale Epidemien sicher nicht exakt beschreiben kann. So ist fraglich, ob die Verteilung der charakteristischen Übergangszeiten eine exponentielle ist wie in diesem Modell implizit angenommen.

Online-Rechner

Eigene Rechnungen können Sie mit diesem in JavaScript geschriebenen Online-Rechner für das SEIR-Modell durchführen. Die Parameter sind dabei zunächst gleich denen der Rechnung zu Abbildung 1; mit dem Knopf "Berechnen" werden Änderungen der Werte in den Eingabefeldern übernommen und die Grafik neu berechnet. Die Resultate können als SVG-Grafik und als CSV-Datei exportiert werden.